Die Pflanzen werden als viertes Schöpfungswerk nach Himmel, Erde und Meer erschaffen.

Im Herbarium werden sie auf aufgebahrt. Der Wissenschaft dienend: Taxonomie! Als könnten wir damit die Pflanzen erfassen. Nein, und die DNA-Analyse hat uns so manches gelehrt. Wie optische Analogien nicht unbedingt den genetischen Verwandtschaften entsprechen.

Plantaginaceae ist eine Pflanzenfamilie mit sehr viel unterschiedlichen optischen Erscheinungen. Nicht zu fassen mit dem Blick des Botanikers. Lange wird die Aufzählung von Anzahl Staubbeuteln und Anzahl Narben, Hüllblättern, Kronblättern oder Symmetrien.

Warum ist eigentlich die Taxonomie eine so schwierige Disziplin? Und hatten die alten Pflanzensystematiker vielleicht gar einen künstlerischen Blick auf die Pflanzen?

 

Im Rahmen meines Studiums Botanique du Terrain an der Université de Picardie, Amiens habe ich tausende optischen Kriterien der Botanik kennengelernt. Nicht nur das französische Vokabular war eine Herausforderung für mich als Deutschsprachige, auch die Mitstudierenden mit französischer Muttersprache mussten viele neue Begriffe lernen. Denn Begriffe helfen durchaus genau zu sehen: zu erkennen.

Der Scheitelpunkt fehlt

Ein Begriff, den alle Gestaltenden kennen, den gibt es aber nicht im Botanikbuch: der Scheitelpunnkt. In keinem einzigen Buch habe ich darüber gelesen, wie sich eine Linie verhält bezüglich Richtungsänderung. Eine für den Gestalter absolut wichtige Angabe zur Erfassung eines Gegenstandes in seinem Wesen ist der Scheitelpunkt einer Line, denn von da an geht die Linie in eine andere Richtung. Hier bekommt die Hand den Befehl vom Hirn etwas anderes zu tun.

Für den Zeichner ist also der Scheitelpunkt absolut wichtig. Das liegt sicher in der Annäherung des Zeichners an die Form. Der Zeincher hat den Auftrag eine Linie zu ziehen. Die Angabe in welche Richtung diese Linie geht ist also erste Instanz für die Ausführung der Linie. Der Zeichner führt seinen Stift entlang einer intellektuell konstruierten Form, der Umrisslinie. Nein Umrisslinie ist nicht Blatt. Aber die Umrisslinie umfasst die Blattform. Das ist etwas ganz anderes. Ersteres ist ein Derivat aus einer Form. Zweiteres ist die Form.

Der Botaniker ist Beobachter und lässt seinen Blick über die Blätter gleiten. Fasziniert von den Formen lässt er sich von diesen führen und merkt nicht, dass er dabei von den Linien gelenkt wird. 

Dieser möglicherweise marginal erscheinende Tatsache hat einen immensen Einfluss auf die Wahrnehmung und Taxonomie der Pflanzen verschiedner Menschen wie Botaniker und Künstler. Der Zeichner oder Künstler nimmt Synthetisch war. Er muss eine Pflanze einmal gesehen haben, um diese dann immer zu kennen. Er hat über die Jahre intus gelernt, wie sich Linien verhalten, wo sie drehen und wie sie drehen. Der Künstler hat den Blick aufs Wesentliche trainiert. Er spürt den Takt der Linien und Scheitelpunkte. Der Botaniker sucht die Einzelheiten zusammen.

Der Botaniker geht analytisch vor. Bei jeder Pflanze werden beispielsweise die Proportionalität des Blattstiels zum Blatt, die Anordnung der Blätter – ob gegenständig oder alternierend – analysiert. Die tausenden von Büchern mit hundertseitigen Pflanzenbeschreibungen, man nennt sie Pflanzenschlüssel, wo minutiös alles abgearbeitet ist, was an der Pflanze im Einzelnen ersichtlich ist, sind die Erkennhilfen der Theoretiker. Ein Fehler, und die Determination führt ins Leere. Aber jedes Detail ist wichtig, denn es ist entscheidend in der Artbestimmung.

Ich habe hier diese Linienbeobachtungen weiter ins Künstlerische getrieben. Vielleicht ist das Wesen der Pflanze drin. Ein Herbar der Pflanzenseelen, oder ein Herbar des Pflanzenglücks.

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