Prolog

Bald steht unser Zügeltermin an. Da ordnet und sortiert man die analogen und digitalen Überlebenden vor dem Zusammenpacken. Bei der Durchforstung älterer digitaler Ablagerungen und Festplatten-Müllhalden klickte ich auf eine Datei mit dem Namen „bye2.html“. [highlight color=“orange“]Lernen für die Zukunft: 15 Minuten bevor sie stattfindet[/highlight] stand da in der Voransicht, „noisy98“ im Pathname, Autor mein Mann.

Sehr geehrter, strukturierter Umsetzer,
Hi suchender Erfinder! …

… las ich weiter. Der Text ein Résumé für „noisy98 – first Knowledge Worker Domain“ (das war eine Veranstaltung des Gottlieb Duttweiler Instituts, GDI im Jahr 1998).

Und jetzt blogge ich hier das Script meines Mannes, als ein [highlight color=“orange“]“15 Jahre altes digitales Fundstück“[/highlight]. Im heutigen Kontext ist das bereits „Remember History“ – das ist auch mein Thema: „Lernen für die Zukunft“. Und ich frage mich: „Was ist eigentlich in den letzten 15 Jahren mit den „Knowledge Worker“ und dem „Working Knowledge“ passiert ..?


Hier sein damaliges „Resume“ als „Netizen“ für „noisy98 – first Knowledge Worker Domain“.

Lernen für die Zukunft:
15 Minuten bevor sie stattfindet

Bei Lernerfahrungen müssen wir immer wieder merkwürdige und ungewöhnliche Wege gehen. Wir verlieren dabei häufig soviel, wie wir davor gerade gewonnen haben. Das war auch bei noisy nicht anders. Es gelingt uns immer weniger, mit den in Ausbildung und Beruf erlernten oder durch Kultur und Herkunft vererbten Methoden persönliche und unternehmerische Problemstellungen zu bewältigen. Anfang und Ende von beliebigen Fragestellungen lassen sich nicht mehr abstecken und viele beklagen das als den ultimativen Verlust von Kultur und Verstand. Dabei ist gerade das Verlassen dieser klassischen Kultur- und Verstandeserfahrung notwendig, um Wissen und Können in nicht-linearen Netzwerk-Strukturen für sich und seine Arbeit im Sinne einer „virtuellen Lernlogistik“ erfolgreich zu adaptieren. Wissen wird im Internet abgelöst durch Können – und Können verändert sich fortwährend in einer beschleunigten Zeitspirale.

„Instant Tasks“ und globale Reaktionsmechanismen ohne Verlust von Qualität und Sinn sind gefordert und müssen gefördert werden: von Spass bis zum Elchtest. „Können“ ist taskorientiert am Internet. Die Entwicklung dieser Fähigkeit wird zur zentralen beruflichen und persönlichen Herausforderung. Das Internet ist die neue „Lernkultur“, welche sich durch das Medium definiert und diktiert. Was nicht am Internet ist, existiert nicht. Was nicht existiert ist nicht von Bedeutung. Dieser Herausforderung begegnen viele Entscheidungsträger mit Überforderungs- und Horrorszenarien oder mit Kleinreden des sich ihnen entziehenden Machtfaktors Internet. Sie besetzen und hemmen dadurch unnötig wichtigen Brainfood.

Um den Rauschabstand (oder das Verhältnis von wichtig zu unwichtig) möglichst hoch zu halten, Wissens-Ressourcen instant zu nutzen, um daraus entstehende neue Wissen sofort der Internet-Gemeinde wieder zur Verfügung zu stellen, war ein grundlegendes Konzept von noisy98. Der „Text“ entsteht beim Lesen und nimmt keinerlei Rücksicht auf Managment-Rituale und -Eitelkeiten. Es ist eine komplexe Reise, deren Anfang und Ende niemand bestimmen kann. „Fun for fit“ war bei noisy genau so wichtig wie „Fit for fun“. Und was habe ich nun dabei gerlernt?

Hier sind die siebeneinhalb(e) ganz und gar persönlichen Dinge, die ich mit noisy98 gelernt habe:

Das erste Ding

Das Institut für Trends und Zukuntfsgestaltung, das bis vor kurzem ein Park für soziale und wirtschaftliche Studien war (jetzt gibt’s da auch Ameisen…), macht uns in der Glasfaser nicht bedeutender, als der Oskar den Oscar. Grosse Namen sind im Internet kleine Nummern, auch wenn sie schon eine (nicht in Betrieb befindliche) Email-Adresse auf der Visitenkarte haben. Hingegen können Wienerli-Fraktion und Quereinsteiger ziemlich hip surfen und branden. Wüssten es die Spice Girls, sie würden no longer für Charles singen. Ich nenne das seit noisy98 die „Selbstorganisation der Wienerlis“ oder kurz:

Networking for a hot dog

Das zweite Ding

Journalisten und PR-Profis werden im Internet arg geschockt. Beginnen Berufsgruppen ohne Presseausweis Cybertext zu posten, der genau so Stoff sein kann, wie die Storyboards von Presse und Werbung, kann dies zu übler Nachrede führen. Der beginnende Tod des Copyrights macht sie ganz offensichtlich unruhig und ratlos. War der Ruf nach „Führung von Geistesarbeitern“ eigentlich darin begründet? Ich habe mit noisy98 gelernt: „Traue keinem, der genau weiss wie’s geht, oder der von sich sagt, er sei Medienprofi. Nutze dagegen den Brain und die Ressourcen von allen, die dir im Internet als Co-Autoren für den persönlichen und beruflichen Alltag zur Verfügung stehen. Sie sorgen dafür, dass „the beat goes on“. Dabei habe ich eine Bitte: No more digital homeless please!

Das dritte Ding

Ein nötiges Event-Startgeld in der Höhe von Eintausend Franken (Anmerkung: die Teilnahme an der virtuellen Veranstaltung kostete damals 1000 Franken) kann auch kurz vor der Einführung des EUROS bei sogenannt gut verdienenden Bevölkerungsgruppen mit angeblich hoher Spesen-Verfügungskraft ganz besinnliche Momente über Sinn und Unsinn auslösen. Dies auch dann, wenn ihnen dadurch noch weniger Zeit für den eigentlichen Wissens-Fight bleibt. Bei Künstlern löst solches Startgeld auch 1998 weiterhin altbekannte und hemmende Finanzierungsprobleme aus, die das Kulturprozent offensichtlich nicht verhindern will. Anhand der verschiedenen Startgeld-Diskussionen konnte ich lernen, dass die Erwartungen exponentiell grösser den möglichen Mitteln (Ressourcen) sind und wenig Bezug zu infrastrukturellen Kostenrealitäten haben. „So genau wollen wir es doch gar nicht wissen“ – Hollywood ist schliesslich überall.

Das vierte Ding

Stresssymptome treten bei vielen trotz Fitness- und Körperbewusstein am Bildschirm noch vor dem wegklicken des Screensavers (Screen Depression) auf. Allein die smarte Existenz von rund 60 noisy-Emails im Basket und rund 2000 Messages mit einem Umfang kleiner gleich 500 Buchseiten in einem digitalen Web-Container genügen, um solche Infoflut Überforderungssymptome hervorzurufen. Wer würde schon reagieren, wenn man im gleichviel Stoff in Form eines 500-seitigen Buches auf den Nachttisch legen würde? Wir sollten die aus grossem Mobilitäts- und Konsumanspruch resultierende Zeitverknappung nicht mit einer Infoflut verwechseln. Noisy98 hat mir gezeigt, dass weiterhein hart für die neue Kampfsportart trainiert werden muss, auch wenn nach wie vorher eine kurze Verneigung vor dem Gegner angesagt ist. Es bleibt dabei. Die „Kerlchen müssen raus“!

Das fünfte Ding

Die Achtzig-Zwanzig-Prozentregel gilt unverändert auch im Internet: Zwanig Prozent machen die Arbeit und Achtzig von Einhundert sagen, wie die Arbeit eigentlich gemacht werden müsste. Neu im Internet ist, dass man sieht, wer die Arbeit überhaupt noch machen kann und, dass diese schneller gemacht werden muss, als den Achtzig von Einhundert Zeit bleibt, um zu sagen was sie eigentlich meinen. Seit noisy98 weiss ich definitv: das Verfalldatum war immer unmittelbar dann, wenn wir etwas gesagt oder getan haben. Eigentlich ziemlich erleichternd: entweder muss ich nun mehr sagen, oder aber weniger tun.

Das sechste Ding

„Wo bleiben die Titten“ hat ein KW als segensreichen Hilferuf in der Conference abgesetzt. Ich muss zugeben, dass ich das während den letzten 60 Tagen auch häufig gedacht habe. Ein diesbezügliches Self-Branding ist aber ausgeblieben. Gelernt habe ich in dieser Frage, dass es gottseidank auch Geistesarbeiter (e.g. Knowledge Worker) gibt, die Russ Meyers Vermächtnis zu würdigen wissen. Die Frage nach den Titten hat mit Bestimmtheit auch nach noisy98 Bestand.

Das siebente Ding

Noisy98 erinnert mich inzwischen an meine WK‘s (nicht KW’s!). War im Wiederholungskurs ein 30 oder 50 Kilometer-Marsch angesagt, gab’s wie bei noisy98 Fraktionen, die genau wussten, wie das mit den Socken, Pflaster etc. zu handhaben ist. Dann gab es coole Girls and Boys – auch die gab’s bei noisy98 – , die es bevorzugten über den bevorstehenden Unsinn zu fluchen und zu sinnieren, aber dann auch nicht ohne Schuhe und Wasserflasche marschierten. Und dann gab’s ja noch die, die sich über Sinn und Unsinn wenig Gedanken machten und die sportlichen Aspekte in den Vordergrund stellten. Ging der Marsch los, war es zunächst immer laut und geschwätzig (wahrscheinlich darum, dass die persönlichen Ängste vor dem Versagen nicht so deutlich auszumachen waren). Mit zunehmenden Kilometern in den Beinen wurde es auch nicht mehr lauter, aber härter und die gegenseitigen Mitteilungen klarer, dann häufig gehässig -, und anschliessend kam das Schweigen (das jeder mit seiner eigenen Müdigkeit auszutragen hatte). Sah man das Ziel, sah man das Bier. Nach der Dusche ging’s aufwärts und dann folgte gleich die geschichtliche Positionierung bei der Serviertochter: „Da haben wir aber ganz schön Kilometer gemacht! – Soll uns mal einer nachmachen in dieser Zeit. Wo sind wir nicht überall durchgekommen, wo wir unter normalen Umständen nie hingekommen wären? Super war‘s.“ Erlebnisse bleiben immer so zurück. Der nächste WK kommt bestimmt.

Das halbe Ding

Halbe Sachen lernt man nicht, die weiss man mit der Zeit! Bleibt mir nach noisy98 eine ganze Sache daraus zu machen. Schliesslich hat’s ein noisy-Kid auf den Punkt gebracht:

„Knowledge Worker ohne Internet gibt’s nicht“.

Internet habe ich schon. Jetzt brauche ich nur noch Knowledge Worker zu werden.

Thanks!

Georg H.

(…)

Don’t ask „what data you want?“
Instead ask „what are the decisions you are now making, and what data do you need to make those decisions better?“

 

Eine Anmerkung

Letzte Woche hat Larry Page an der Google I/O 2013 darüber gesprochen, wie sehr er Technologie und Fortschritt liebt und beeindruckt er davon ist, was heute möglich ist. Als Beispiel nannte er Spracherkennung, die er mit Szenen aus Star-Trek-Filmen verglich. Trotzdem habe die Menschheit „vielleicht gerade mal ein Prozent dessen erreicht, was möglich sei.“ Man sollte sich darauf konzentrieren, Dinge zu bauen, die es noch nicht gibt. Dann sprach er über die Vorteile, die selbstfahrende Autos bieten würden.

[highlight color=“orange“]“Ein Prozent“? Hallo „Knowledge Worker“ – „change it“.[/highlight]

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